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Rückblick auf die Informatik-Fachtagung 2023

Der diesjährige Landesfachtag Informatik der GI-Fachgruppe SH-HILL und des IQSH stand ganz im Zeichen des Pflichtfachs Informatik, das sowohl in Hamburg als auch in Schleswig-Holstein vorbereitet wird. In zahlreichen Workshops konnten sich die rund 80 teilnehmenden Lehrkräfte methodisch und inhaltlich weiterbilden. Auch neue Anwendungen der Künstlichen Intelligenz wie ChatGPT und deren Chancen und Risiken für den Schulunterricht wurden diskutiert.

Erster Programmpunkt des Tages war eine Podiumsdiskussion zum Thema: „Wie gestalten wir das Pflichtfach Informatik?“ Um diese Frage praxisnah zu beantworten, wurden Gäste mit unterschiedlichen Hintergründen zum Informatikunterricht eingeladen: Maike Weidner (Englisch- & Deutschlehrerin; Absolventin der Informatik-Weiterbildung SH), Lucas Brauer (grundständig ausgebildeter Informatik-(Jung)Lehrer), Kerstin Karlsson (Weiterbildnerin und Expertin für informatische Grundbildung u.a. mit IT2School), Dr. Peer Stechert (Fort- und Weiterbildner) sowie Prof. Dr. Michael Brinkmeier (Didaktik der Informatik, Univ. Osnabrück). Moderiert wurde die Diskussion von Hauke Morisse und Moritz Kreinsen aus dem Leitungsteam der FG SH-HILL.

Die Fragen gliederten sich in drei Themenkomplexe, am Ende wurde die Diskussion für das Publikum geöffnet. Zuerst sprachen wir über individualisiertes Lernen und geeignete Methoden und Themen dafür. Danach hatten wir Fragen zur Schul- und Personalentwicklung vorbereitet. So starteten wir nach einer kurzen Vorstellung mit Praxisberichten aus dem Informatikunterricht.

Die Antworten der Podiumsgäste skizzierten folgendes Bild eines guten Informatikunterrichts: Guter Informatikunterricht besteht weder aus Office-Produkt-Schulungen noch aus Programmierkursen. Gelungener Unterricht motiviert durch die Verbindung von Alltagserfahrungen und Gelerntem, durch Informatik die Welt besser verstehen zu können. Auch aus Gemeinschaftsschulen wurde berichtet, dass Informatik nicht abstrakt sein muss, sondern praktisches und produktorientiertes Arbeiten mit unmittelbaren Ergebnissen ermöglichen kann. Gerade bei einem Pflichtfach ist die Frage der Motivation und des Lebensweltbezugs von zentraler Bedeutung. Selbstständiges Lernen mit agilen Methoden in Projekten führt zu hoher Motivation und sehr unterschiedlichen Niveaus und Ergebnissen. Dies erfordert Zeit für Lehrende, sich einzuarbeiten, macht die Arbeit aber auch immer wieder neu und interessant. Es geht um Konzepte und Phänomene im Alltag, wie z.B. Zertifikate in Webanwendungen, die oft im Hintergrund laufen und durch den Unterricht besser eingeordnet werden können.

Gleich zu Beginn wurde thematisiert, dass es für den Einstieg in ein Pflichtfach, das (zunächst) auch fachfremd unterrichtet wird, sinnvoll sein kann, eine enge Anbindung an erfahrene Kolleginnen und Kollegen zu gewährleisten. Dies kann so aussehen, dass die erfahrene Person die Planung mehrerer Parallelkurse leitet und die „Neuen“ sich relativ eng an diese Planung halten, um sich ganz auf die Situation des neuen Fachunterrichts konzentrieren zu können. Absprachen und Vernetzung sind hier sehr hilfreich. Dies betrifft vor allem Schulentwicklungsprozesse und die Herausforderung einer Übergangsphase.

Prof. Michael Brinkmeier konnte die Perspektive aus Niedersachsen einbringen, das bei der Einführung des Pflichtfaches gegenüber Hamburg und Schleswig-Holstein einen Schritt voraus ist: In Niedersachsen ist das Pflichtfach bereits eingeführt. Eine eigentlich banale, aber nicht selbstverständlich mitgedachte Grundlage für den Informatikunterricht ist funktionierende Hardware. Ohne diese ist ein Unterricht kaum möglich, weshalb Fachräume, vergleichbar mit Physik oder Chemie, mit entsprechender Ausstattung notwendig sind. Ein weiterer Aspekt ist, dass die vorhandenen Informatikkolleginnen und -kollegen bisher in der Oberstufe eingesetzt waren und dort nicht einfach ersetzt werden können. Die Lehrkräfte, die bereit sind, sich in das Fach Informatik einzuarbeiten, brauchen Ausgleichs-/Entlastungsstunden und Unterstützung, sonst ist der Anreiz, die zusätzliche Belastung auf sich zu nehmen, zu gering. In Schleswig-Holstein gibt es auch Schulen, die bereits PC-Räume abgeschafft haben und mit Tablets arbeiten und die Erfahrung machen, dass dies für einen flächendeckenden Informatikunterricht nicht ausreicht. Die Arbeitswelt arbeitet auch mit Desktop-Computern und das hat seine Gründe, ebenso läuft nicht jede Software auf Tablets.

Eine weitere Frage war, woher die Lehrerinnen und Lehrer kommen sollen und ob auch Möglichkeiten der Schmalspurausbildung sinnvoll sind, indem z.B. zwei Lehrerinnen oder Lehrer jeweils ein Semester lang ein Thema unterrichten und dann die Kurse tauschen. Das scheint es auch schon gegeben zu haben, was die Schule aber an anderer Stelle wieder vor Probleme stellt. Im Berufsfeld Informatik wiederum gibt es zahlreiche Zertifizierungen, z.B. für Datenbanken oder Softwareentwicklung. Dies sollte aber für die Schule nicht dauerhaft etabliert werden, um die Lerngruppen in einer Hand zu halten und Lehrerwechsel zu reduzieren. Problematisiert wurde die auf andere Bundesländer übertragbare Situation in Schleswig-Holstein, dass Fortbildungen nur bei einer Mindestteilnehmerzahl durchgeführt werden können. Da dies nicht immer der Fall war, wurden begleitend zu den Fortbildungen ergänzende Selbstlernmaterialien entwickelt. Für die anderthalbjährigen Weiterbildungen dagegen gibt es viele Interessentinnen und Interessenten, aber nicht in jedem Semester sind Startmöglichkeiten gegeben. Hinsichtlich der Herkunft der bisher weitergebildeten Lehrkräfte in Schleswig-Holstein ist interessant, dass etwa ein Drittel ohne MINT-Hintergrund teilgenommen hat. Das ist insofern interessant, da es aus Sicht der Personalentwicklung eine berechtigte Sorge sein kann, dass sich vor allem Lehrkräfte aus Mangelfächern für Informatik interessieren.

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum war geprägt von Fragen der Umsetzung, der Entlastung und des Übergangs. Es nahmen viele Lehrkräfte aus Schleswig-Holstein, einige aus Hamburg und Niedersachsen teil. Hinsichtlich der Inhalte der Fortbildung für die Oberstufe wurden vor allem mathematische Aspekte als verkopft benannt. Die Frage der Stundentafel in den Schulen wurde ebenso angesprochen wie die Dauer der Übergangsphase, die den einzelnen Bundesländern nun bevorsteht. Es besteht der Effekt, dass ein Lehramtsstudium oft nur dann absolviert wird, wenn man das Fach selbst in der Schule hatte. Es ist daher zu erwarten, dass die Übergangsphase nicht in wenigen Jahren abgeschlossen sein wird, ganz zu schweigen vom allgemeinen Lehrermangel.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion gingen die Teilnehmenden in ihre gewählten Workshops zu folgenden Themen:

  • Machine Learning Unplugged,
  • Agile Methoden,
  • Datenbanken mit InstaHub,
  • Datenschutz,
  • Story Cards für Microcontroller-Programmierung,
  • die Klemmchat-Methode zur Arbeitsweise von Messengern,
  • Blender-Programmierung und natürlich
  • „Wie funktioniert ChatGPT?“

Nach der Mittagspause hielt Prof. Beat Döbeli Honegger eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Keynote zum Thema „Schule, Digitalisierung und die Rolle der Informatik“ (https://beat.doebe.li/talks/hamburg23). Darin ordnete er neue Entwicklungen der künstlichen Intelligenz, insbesondere ChatGPT, anhand des Dagstuhl-Dreiecks und der Ebenen „Konzeptwissen - Produktwissen - Versionswissen“ ein. Für die Schule im Allgemeinen stellte er u.a. fest, dass

  1. die Bedeutung der Medienkompetenz weiter zunimmt 
  2. der Umgang mit großen Sprachmodellen Teil der Informationskompetenz (Information Literacy) ist 
  3. die Gefahr besteht, dass das kognitive Anspruchsniveau weiter steigt, da Menschen mehr können müssen als Textgeneratoren
  4. die Gefahr besteht, dass Schülerinnen und Schüler demotiviert werden, selbst zu recherchieren, weil Textgeneratoren es ohnehin besser können
  5. neue Täuschungsmöglichkeiten bei Prüfungen entstehen.

Für den Informatikunterricht schloss der Vortrag mit der Frage nach dem Stellenwert des Programmierens in Zeiten von ChatGPT und einem Ausblick auf Computational Thinking 2.0, bei dem neben dem klassischen Problemlösen der Informatik auch Daten eine größere Rolle spielen. Ergänzendes Material von Beat Döbeli Honegger zu Large Language Models und ihren Auswirkungen auf die Schule befindet sich hier: https://mia.phsz.ch/LLM

Mit einer abschließenden Workshop-Phase endete der Fachtag Informatik. Insgesamt war der Austausch auf diesem ersten Fachtag nach der Pandemie konstruktiv und fruchtbar - nicht zuletzt auch durch die in Präsenz endlich wieder möglichen gemeinsamen Kaffeepausen.

SH-HILL
Grußwort IQSH
Weiterbildungsoffensive SH, Peer Stechert
SH-HILL Fachtagung 2023
SH-HILL